Rede von Ralf Wurth zum Doppelhaushalt 2021/22 im Kreistag

25. März 2021 | Corona, Familie, Jugend & Soziales, Kreispolitik, Kreistagsfraktion, Reden und Wortbeiträge, Umwelt und Verkehr

Rede von Ralf Wurth zum Doppelhaushalt 2021/22, Kreistag, 25. März 2021

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Landrat, meine Damen und Herren,

die heutige Haushaltsdebatte findet angesichts dreier großer Herausforderungen
statt, die uns allen viel abverlangen.

• Erstens stehen wir aktuell unter dem Eindruck einer weltweiten
Gesundheitskrise. Wir müssen uns auch im Oberbergischen die Frage stellen,
wie wir auf die Gefahr von Corona-Erkrankungen antworten.
• Zweitens müssen wir sagen, wie wir auf die andauernde und
menschengemachte Bedrohung für unser Klima und unsere natürlichen
Lebensgrundlagen reagieren.
• Drittens ist es an uns, den sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen. Wir
haben dem wieder deutlich hervortretenden Klassencharakter der Gesellschaft
entgegen zu wirken.

Um es vorweg zu nehmen, für die Bewältigung keiner dieser drei
Herausforderungen ist ein unveränderter Kreisetat-Entwurf eine hinreichende
Lösungsgrundlage.

Corona-Krise

Meine Damen und Herren,

falls es schnell einen Weg aus der Corona-Krise gibt, heißt dieser “Impfen, Impfen,
Impfen”, “Testen” und “konsequente Kontaktverfolgung”.

Leider kann man nicht sagen, dass die Impfstrategie der Kreisverwaltung auf
Einfachheit und Menschennähe ausgelegt ist – wenn man einmal von
Einzelpersonen aus der Verwaltungsspitze absieht. Unsererseits sind seit
Jahresbeginn aufsuchende Impfungen und dezentrale Impfzentren eingefordert
worden. Bei seinem Nein zu einem Impf-Ort auch im Kreisnorden berief sich der
Landrat zunächst auf die Landesregierung. Als diese dann einen Zweitstandort
zuließ, wurde die fortgesetzte Ablehnung unter anderem mit der Gefahr der Unterauslastung der Impfstraße am Karstadt-Standort begründet.

Wozu dies aktuell führt, kann man heute in der Bergischen Landeszeitung
(Lokalausgabe der Rundschau für Wipperfürth und Lindlar) in einer Reportage über
die Erfahrungen einer 85-jährigen Impfberechtigten nachlesen. Ich empfehle jedem
Kreistagsmitglied die Lektüre: Stundenlange Wartezeiten in stickigen Vorräumen,
drängende Impfwillige, wirklich unerwünschte Menschenansammlungen in
geschlossenen Räumen und Rückfahrt nach Hause, ohne erwünschte Impfung.
Man muss es so zusammenfassen: Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich
eine Kreisverwaltung, die im Inneren preußisch korrekt und nach außen hin
rheinisch flexibel handelt. Im Oberbergischen ist es leider inzwischen umgekehrt –
mit fatalen Folgen.

Herr Landrat,

Sie haben jetzt im Kreistag die einmalige Möglichkeit, dem Vorbild der Kanzlerin zu
folgen. Entschuldigen Sie sich für Ihre schlimme Fehlentscheidung und revidieren
Sie Ihre Ablehnung eines zweiten Impfzentrums. Wir alle, liebe
Kreistagskolleginnen und -kollegen, sollten den Landrat dabei unterstützen, jetzt
endlich das Richtige zu tun.

Auch beim Testen wäre etwas mehr Wagemut angebracht. Wieso ist das
Oberbergische bei vermeintlich so guten Kontakten in die Landesregierung und in
die Landtagsmehrheit nicht eine Modellregion, in der neue und innovative Wege
ausprobiert werden – gerne auch im Einklang und mit Billigung der
Gesundheitsministerien auf Landes- und Bundesebene? Zu Jahresbeginn hätte
sich hierfür der Infektionsherd Nümbrecht/Waldbröl, die Heimat von Herrn Bodo
Löttgen, angeboten. Stattdessen gilt der Grundsatz: Ein Problem, für dass sich
keine Vorschrift oder Verfahrensregel findet, existiert verwaltungsseitig nicht.

Symptomatisch für die Kreisverwaltung ist zunehmend auch das Handeln des
Gesundheitsamts – zum Beispiel in der Kontaktverfolgung und in der
Datenaufbereitung. Die aktuellen Probleme mit SORMAS sind nur der zeitlich letzte
Beleg dafür. Den Mitarbeitenden im Amt gebührt Lob für ihre Mühe und ihren
aufopferungsvollen Einsatz. Aber dass die Stichworte Unterdigitalisierung und
Überbürokratisierung die Kreisverwaltung zurecht beschreiben, zeigt sich an
diesem Verwaltungsbereich exemplarisch.

Das Projekt Kreishauserweiterung soll nach Auffassung von Kreisverwaltung und
CDU/FDP/FWO/DU/UWG – also der Buchstabensuppe-Mehrheit im Kreistag –
zum Denkmal dieser verfehlten Verwaltungslogik werden. Wir verstehen nicht, wie
eine Maßnahme, die zu Beginn des letzten Jahres wegen Geldmangel gestoppt
wurde, jetzt wiederaufgenommen wird, wo die finanziellen Folgen der Corona-
Pandemie erst langsam sichtbar werden. Nur zur Klarstellung, insbesondere für die
Kollegen der UWG, sei betont. Entgegen ihrer Falschbehauptung im
Kreisausschuss am letzten Donnerstag habe ich für die SPD schon in meinen
Haushaltsreden zu den Doppelbudgets 2017/18 und 2019/20 einen solchen
Fehleinsatz von Geldern abgelehnt. Und in beiden Reden finden sich folgende
Sätze, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Im Gegenteil.

Ich zitiere:
Kritisch und mit großer Skepsis sehen wir die Pläne des Landrats, die
Kreisverwaltung baulich zusammen zu fassen. Ich stelle fest, dass meine Fraktion
vor der Schaffung neuer Büroflächen geklärt sehen möchte, ob und wie
Flächenbedarfe vermindert werden können.

Im Rahmen einer zunehmenden Digitalisierung von Verwaltungstätigkeiten und den
daraus erwachsenen Chancen (Stichworte: „Home-Office“, also Arbeiten am
privaten Schreibtisch, sowie „Co-Working“, also bedarfsgerechte und flexible
Nutzung von Büroarbeitsplätzen durch mehrere Personen) sollte alles vermieden
werden, was zu künftig leerstehenden Büros führt. Auch hier eingespartes Geld
kann anderweitig sinnvoller verwendet werden.

Klima-, Umwelt- und Verkehrspolitik

Meine Damen und Herren,

über die Anträge selbst der „Buchstabensuppe“-Parteien zum Schutz des
heimatlichen Waldes, zum Klimaschutz, für Radwege und zur Stärkung des
öffentlichen Nahverkehrs freuen wir uns ehrlich. Deshalb rechnen wir fest mit einer
breiten Mehrheit für unseren Antrag zur Unterstützung der Volksinitiative
Artenvielfalt. Wenn wir jetzt eine Gattungsfrage gemeinsam angehen, ist dies
richtig und schön.

Wir freuen uns auch über die geäußerte Erkenntnis, dass manche Initiative zehn
Jahre zu spät kommt.

Wir haben da aber zwei Fragen.
• Wer hatte in diesem Kreistag eigentlich in den letzten zehn Jahren eine
Mehrheit?
• Wieso hat diese Mehrheit unsere analogen Anträge in den letzten Jahren immer
und immer wieder abgelehnt?

Dabei wissen wir: Die ökologische Erneuerung und die Minderung des
Klimawandels können und werden nur im Einklang mit sozialen Aspekten und unter
Berücksichtigung ökonomischer Notwendigkeiten erfolgen. Alles andere wird keine
dauerhafte Zustimmung finden. Einseitigkeiten lehnen wir ab. Ständiges abwägen
ist mühsam, aber sinnvoll. Um es an Beispielen dazustellen:
• Natürlich würden wir die – leider fiktive – Frage von Biontech oder Curevac
gerne wohlwollend geprüft sehen, falls eines der Unternehmen – mit dem Ziel
der Schaffung eines Gesundheits-Clusters – wegen einer Entwicklungs- und
Produktionsstätte in Nümbrecht-Elsenroth nachfragt.
• Und wer auf die Nutzung bestehender oder zu reaktivierender Bahnstrecken
setzt, sollte selbstverständlich den Bau von Wohnungen (unter anderem für
jungen Familien) entlang der Strecken erwägen.

Sozialer Zusammenhalt

Meine Damen und Herren,

sprachlich hat mich seit Beginn der Corona-Krise kaum etwas so geärgert, wie der
Begriff “Social Distancing”. Hier zeigt sich, wie durch Worte eine Geisteshaltung
verdeutlicht wird. Richtig ist, die Virusbekämpfung fordert körperlichen Abstand.
Sozial ist aber ein “mehr” und nicht ein “weniger” an Gemeinsamkeit angebracht.

Dazu kann auch der Kreis beitragen.

So sind wir für die Abschaffung von Elternbeiträgen in der Kindertagesbetreuung.
Als ersten Schritt wollen wir die Erhebung in Pandemiezeiten aussetzen.

Bezahlbarer Wohnraum ist die Grundvoraussetzung für ein gutes Leben. Deshalb
starten wir erneut den Versuch, den Kreis – vielleicht über die OAG – dazu zu
bewegen, für mehr sozialen Wohnungsbau zu sorgen.

Eine Missachtung von Organisationen, die sich um das soziale Miteinander im
Oberbergischen kümmern, ist der Beschluss, die von den Jugend- und
Wohlfahrtsverbänden im Fachausschuss mit verabschiedete Jugendamtssatzung
ohne neue Ausschussberatung abzulehnen und durch einen bereits verworfenen
Satzungsentwurf zu ersetzen. Das Verhalten der so beschließenden Mehrheit, des
Ausschussvorsitzenden und des Fachdezernenten findet unsere Missbilligung, die
wir auch zum Ausdruck bringen werden.

Meine Damen und Herren,

soziale Gemeinschaft wurzelt „vor Ort“. Nur starke Städte und Gemeinden können
für ein gutes Miteinander sorgen. Deshalb dürfen die oberbergischen Städte und
Gemeinden nicht finanziell ausbluten.

Und deshalb unterstützt die SPD im Kreistag Forderungen der Bürgermeisterinnen
und Bürgermeister, die auf eine niedrigere Belastung durch die Kreisumlage zielen.

Wir sind für
• den Einsatz der Ausgleichsrücklage bei der laufenden Finanzierung des
Kreisetats,
• die Begrenzung des Stellenausbaus in der Kreisverwaltung,
• eine globale Minderausgabe von einem Prozent bei den Verwaltungsausgaben,
• eine umfängliche „Isolierung“ von Pandemie-bedingten Sonderlasten,
• die Vermeidung von Doppelstrukturen in der Wirtschaftsförderung.

Der ganze Kreistag ist aufgerufen, hierzu Farbe zu bekennen.

Zusammenfassende Bewertung

Sehr geehrter Herr Landrat,

wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung (J.M. Keynes). Tülay
Durdu hat mir intern im Wahlkampf vorgehalten, ich würde das Verwaltungshandeln
in der Corona-Krise zu positiv bewerten. Rückblickend auf das letzte halbe Jahr
gebe ich ihr heute recht. Deshalb lehnt die SPD die Etatansätze für die Innere
Verwaltung und für den Gesundheitsdienst ab. Wer für einen Kreishausneubau
eintritt, bekommt von uns auch keine Stimme für die Ansätze im Produktbereich
Bauen und Wohnen. Die schon dargestellten Gründe lassen uns gegen den Teil-
Etat für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe stimmen.

Unser Abstimmungsverhalten beim Produktbereich Allgemeine Finanzwirtschaft,
zum Stellenplan und beim Gesamtetat hängt davon ab, wie sich der Kreistag zu
unserem Haushaltseckpunkte-Antrag verhält. Finden die Forderungen der
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zum Wohle der Menschen im
Oberbergischen keine Mehrheit, kann unsere Antwort nur „Nein“ lauten.
Wir danken vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung für ihre
vorbereitenden Arbeiten zum Haushalt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Ralf Wurth, Fraktionsvorsitzender

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